November

Im Herbst

 

Der schöne Sommer ging von hinnen,
Der Herbst der reiche, zog ins Land.
Nun weben all die guten Spinnen
So manches feine Festgewand.

 

Sie weben zu des Tages Feier
Mit kunstgeübtem Hinterbein
Ganz allerliebste Elfenschleier
Als Schmuck für Wiese, Flur und Hain.

 

Ja, tausend Silberfäden geben
Dem Winde sie zum leichten Spiel,
Die ziehen sanft dahin und schweben
Ans unbewußt bestimmte Ziel.

 

Sie ziehen in das Wunderländchen,
Wo Liebe scheu im Anbeginn,
Und leis verknüpft ein zartes Bändchen
Den Schäfer mit der Schäferin.

Wilhelm Busch

Oktober 2024

 

Mächtige deutsche Pappel

 

Vor meinem Fenster steht ein Baum,

 ich sah ihn manche Jahre grünen.

 Das Leben steigt, das Leben fällt,

was kümmert das den alten Hünen.

 

Im Herbst, da taumeln nach und nach

 müde die Blätter von den Zweigen.

Doch schlägt die Drossel, dann erwacht

der Winterwald aus Schlaf und Schweigen.

 

Und wieder Herbst. Es stirbt das Laub,

 das noch vor Wochen sommergrüne;

doch nächstes Jahr, im Ostertraum –

was raunt der alte finstre Hüne?

 Detlev von Liliencron (1844 - 1909)

 

 

 Gedicht September

 

Der Bauer und sein Kind

 

Der Bauer steht vor seinem Feld

und zieht die Stirne kraus in Falten:

„Ich hab den Acker wohl bestellt,

auf reine Aussaat streng gehalten;

nun seh‘ mir eins das Unkraut an!

Das hat der böse Feind getan!“

 

Da kommt sein Knabe hochbeglückt,

mit bunten Blüten reich beladen;

im Felde hat er sie gepflückt,

Kornblumen sind es, Mohn und Raden,

Er jauchzt: „Sieh, Vater, nur die Pracht!

Die hat der liebe Gott gemacht.“

Julius Sturm

*

Gedicht August

 

König Sommer

 

Nun fallen leise die Blüten ab,
Und die jungen Früchte schwellen.
Lächelnd steigt der Frühling ins Grab
Und tritt dem Sommer die Herrschaft ab,
Dem starken, braunen Gesellen.

 

König Sommer bereist sein Land
Bis an die fernsten Grenzen,
Die Ähren küssen ihm das Gewand,
Er segnet sie alle mit reicher Hand,
Wie stolz sie nun stehen und glänzen.

 

Es ist eine Pracht unterm neuen Herrn,
Ein sattes Genügen, Genießen,
Und jedes fühlt sich im innersten Kern
So reich und tüchtig. Der Tod ist so fern,
Und des Lebens Quellen fließen.

 

König Sommer auf rotem Roß
Hält auf der Mittagsheide,
Müdigkeit ihn überfloß,
Er träumt von einem weißen Schloß
Und einem König in weißem Kleide.

Gustav Falke (1853 - 1916)

*

Juli

 

O wonnigliche Reiselust,

an dich gedenk ich früh und spat!

Der Sommer naht, der Sommer naht,

 Mai, Juni, Juli und August,

 da quillt empor,

da schwillt empor das Herz

in jeder Brust.

 

Ein Tor, wer immer stille steht,

 drum Lebewohl und reisen wir!

 Ich lobe mir, ich lobe mir

 die Liebe, die auf Reisen geht!

Drum säume nicht und träume nicht,

wer meinen Wink versteht.

August von Platen-Hallermünde (Graf Platen) (1796 - 1835)

*

Juni

 

 An die Mutter ..

 

Doch nun zu dir, einzige Mutter.

Ich bin mit meinen Gedanken so oft bei dir.

Ich lerne dich mehr und mehr verstehen.

 Ich ahne dich. Wenn meine Gedanken bei dir sind,

 dann ist es, als ob mein kleiner, unruhiger Mensch

 sich an etwas Festem, Unerschütterlichem festhält.

 Das Schönste aber ist, dass diese Feste,

Unerschütterliche so ein großes Herz hat.

Lass dir danken, liebe Mutter,

 dass Du Dich so uns erhalten hast.

Lass dich ganz ruhig und lange umarmen.

 Paula Modersohn-Becker (1876 - 1907)

*

Mai

 

Nun aber hebt zu singen an

 Der Mai mit seinen Winden.

 Wohl dem, der suchen gehen kann

Und bunte Blumen finden!

 

 Die Schönheit steigt millionenfach

 Empor aus schwarzer Erden;

Manch eingekümmert Weh und Ach

 Mag nun vergessen werden.

 

 Denn dazu ist der Mai gemacht,

Daß er uns lachen lehre.

Die Herzen hoch! Und fortgelacht

Des Grames Miserere!

Otto Julius Bierbaum (1865 - 1910)

*

April

 

Frühlingsball der Tiere

 

Es war die erste Maiennacht.
Kein Mensch im Dorf hat mehr gewacht.
Da hielten, wie es stets der Fall,
Die Tiere ihren Frühlingsball.
Die Gans, die gute Adelheid,
Fehlt nie bei solcher Festlichkeit.
Obgleich man sie nach altem Brauch
Zu necken pflegt. So heute auch.
»Frau Schnabel«, nannte sie der Kater.
»Frau Plattfuß!« rief der Ziegenvater.
Doch sie, zwar lächelnd, aber kühl,
Hüllt sich in sanftes Selbstgefühl.
So saß sie denn in ödem Schweigen
Allein für sich bei Spiel und Reigen,
Bei Freudenlärm und Jubeljux.
Sieh da, zum Schluß hat auch der Fuchs
Sich ungeladen eingedrängelt.
Schlau hat er sich herangeschlängelt.
»Ihr Diener«, säuselt er galant,
»Wie geht's der Schönsten in Brabant?
Ich küss' der gnäd'gen Frau den Fittich.
Ist noch ein Tänzchen frei, so bitt' ich.«
Sie nickt verschämt: »O Herr Baron!«
Indem so walzen sie auch schon.
Wie trippeln die Füße, wie wippeln die Schwänze
Im lustigen Kehraus, dem letzten der Tänze.
Da tönt es vier mit lautem Schlag.
Das Fest ist aus. Es naht der Tag.
Bald drauf, im frühsten Morgenschimmer,
Ging Mutter Urschel aus, wie immer,
Mit Korb und Sichel, um verstohlen
Sich etwas fremden Klee zu holen.
An einer Hecke bleibt sie stehn.
»Herrje, was ist denn hier geschehn?
Die Füchse, sag' ich, soll man rädern.
Das sind wahrhaftig Gänsefedern.
Ein frisches Ei liegt dicht daneben.
Ich bin so frei, es aufzuheben.
Ach, armes Tier«, sprach sie bewegt,
»Dies Ei hast du vor Angst gelegt.«

 (Wilhelm Busch)

*

März

 

Ostern

 

Vom Erdenstaub zu reinen, blauen Lüften

Dringt weit der Blick in ersten Frühlingstagen,

Und höher steigt der mächt′ge Sonnenwagen,

Die Erde sehnt nach Blättern sich und Düften,

Und heilige Geschichten uns dann sagen

Was sich geahnet in des Herzens Klüften.

Er ist erstanden aus den Todesgrüften,

Und wie vergebens war der Menschen Zagen,

Ja so ersteht die Welt der Himmelsgaben

Mit jedem Jahre neu, die Knospen brechen,

Und nichts ist unsrer Liebe zu erhaben,

Sie giebt uns alles in den Wonnebächen,

Die nach dem Eisgang Flur und Aug′ durchgraben,

Das Unsichtbarste will zum Lichte sprechen.

Achim von Arnim

*

Februar

 

Vorfrühling

 

Das ist der Frühling nicht allein,

Der durch die Bäume dränget

Und wie im Faß der junge Wein

 Die Reifen fast zersprenget,

 

 Der Frühling ist ja zart und kühl,

 Ein mädchenhaftes Säumen,

Jetzt aber wogt es reif und schwül

Wie Julinächte träumen.

 

Es blinkt der See, es rauscht die Bucht,

 Der Mond zieht laue Kreise,

Der Hauch der Nachtluft füllt die Frucht,

 Das Gras erschauert leise.

 

Das ist der Frühling nicht allein,

Der weckt nicht solche Bilder.

Hugo von Hofmannsthal (1874 - 1929)

*

Januar

 

Neujahr

 

 Altes Jahr, du ruhst in Frieden,

 Deine Augen sind geschlossen;

 Bist von uns so still geschieden

 Hin zu himmlischen Genossen,

Und die neuen Jahre kommen,

Werden auch wie du vergehen,

 Bis wir alle aufgenommen

Uns im letzten wiedersehen.

 Wenn dies letzte angefangen,

Deutet sich dies Neujahrgrüßen,

 Denn erkannt ist dies Verlangen,

Nach dem Wiedersehn und Küssen.

 Achim von Arnim (1781 - 1831) 

 

 

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