König Winter
Mit seiner prächtigen Kutsche, bespannt mit sechs weißen Schimmeln, kam König Winter gerade um die Ecke gebogen. In seinem Palast, aus glänzenden Eiskristallen, wurde er bereits erwartet. „Wo bleibst du nur solange?", erkundigte sich besorgt Prinzessin Schneeflocke. „Bruder Herbst wollte den Weg nicht freigeben", brummte, etwas verärgert über diese Frage, König Winter. Dabei hatten sich die beiden Brüder gut verstanden und König Winter hatte es recht gut gefallen, als ihm Bruder Herbst von seinem diesjährigen Rebensaft anbot. Bei einem gemütlichen Plausch vergaßen sie die Zeit, bis König Winter merkte, dass es längst soweit war das Regiment zu übernehmen. Da Bruder Herbst rechtschaffen müde war von seiner Regentschaft, trennten sich die beiden in bestem Einvernehmen. Hier vor seinem Hofstaat, konnte König Winter nicht anders, als seine Verspätung auf seinen Bruder den Herbst zu schieben. Manches Mal war er gar nicht begeistert von dem ganzen Trubel, der ihn jetzt bei den zahlreichen Festen erwartete, die seine Regierungszeit mit sich brachte. Prinzessin Schneeflocke wollte jedoch nicht länger warten und erinnerte daran, dass im Saale die Gäste bereits lustig beisammen waren. Feuerwerk und Maskenball waren angesagt. Jeder wollte der Schönste sein. Punsch und Glühwein machten die Runde. Prinzessin Schneeflocke wirbelte nur so durch den Raum in ihrem zart weißen Spitzenkleid. Schon nach kurzer Zeit kamen die Blumenkinder in ihren weißen und gelben Röckchen in den Saal gerauscht. Schneeglöckchen und Winterlinge drehten sich fröhlich im Tanz. Nun dauerte es nicht mehr lange und Bruder Lenz klopfte behutsam an die Tür. Mit einem letzten Schneewalzer würde er später seine fröhliche Tage in seinem Reich beenden. König Winter würde dann das Zepter dem Lenz übergeben, froh sich zur Ruhe legen zu können. © Christina Telker
Bert der Schneemann
Schon lange bedeckte eine dichte Schneedecke die Erde. Die Kinder jubelten über diese Pracht. In den vergangenen Jahren war Frau Holle nicht so großzügig mit ihrer weißen Flockenfülle gewesen. So konnten die Kleinen jeden Tag ihren Schlitten herausholen. Auch Schneemänner sah man vor fast jedem Haus. Gela und Angie hatten den Größten gebaut und da er sie schon so lange jeden Morgen freundlich begrüßte, anstatt wegzutauen, war er ihnen wie ein Freund ans Herz gewachsen und sie gaben ihm einen Namen. Bert sollte er heißen. Was die Schwestern jedoch nicht wussten, Bert war ein besonderer Schneemann. Er lebte. Jede Nacht von null Uhr bis zwei Uhr. Danach stand er brav wieder an der Stelle, an der ihn die Kinder gebaut hatten. In den zwei Stunden der Nacht, in denen ihm die Schneekönigin Leben einhauchte, wanderte er durch die Stadt, um nach seinen Kameraden zu sehen. Dem einen fehlte seine Nase, die ersetzt werden musste, einem anderen hing der Hut so schief, dass er beim nächsten Windstoß davon geflogen wäre. Bert kümmerte sich um alles. Kaum reichten die zwei Stunden aus, um alle Aufgaben ordentlich zu erfüllen, denn Bert nahm sein Amt sehr ernst. So manches Mal schaffte er es gerade noch zum Glockenschlag vor seinem Haus zu stehen. Bis auf die eine Nacht in der etwas Unerwartetes geschah. Als er kurz vor zwei Uhr um die Ecke der Nelkenstraße bog, fand er einen seiner Kameraden arg zu gerichtet vor. Schwer hatte man ihm zugesetzt. Ihm fehlte nicht nur Hut, Nase und Augen, nein ihm fehlte auch ein Arm. So konnte Bert seinen Kameraden nicht in den neuen Tag gehen lassen. Traurig stand der Kleine da und sah sein letztes Stündlein gekommen. Bert wusste, dass er es heute nicht mehr vor das Haus seiner Freunde schaffen würde. Aber hier musste sofort geholfen werden. Zuerst setzte er den Arm wieder an. Anschließend sammelte er Hut, Nase und Augen wieder ein und versorgte den armen Tropf so gut er konnte. Ein letzter Blick zeigte ihm da, das sein Werk gelungen war. In dem Moment schlug die nahe Kirchturmuhr zweimal und Bert blieb auf der Stelle stehen, auf der er sich gerade befand. Wie staunten am nächsten Morgen die Bewohner der Nelkenstraße über den großen Schneemann. ‚Wer hat den nur über Nacht gebaut‘, überlegten sie. Gela und Angie glaubten jedoch ihren Augen nicht zu trauen als sie am Morgen vors Haus traten. Wo war nur Bert? Aber so sehr sie auch suchten, nirgends war eine Spur von ihm. Nicht einmal ein Schneehaufen, der ahnen ließe das Bert dort stand. In der Schule erfuhren sie von ihren Freunden, dass in der Nelkenstraße über Nacht ein besonders schöner Schneemann entstanden sei. „Den müsst ihr euch unbedingt ansehen“, forderte Gerd die beiden Schwestern auf. Neugierig geworden folgten die beiden Mädchen nach der Schule ihrem Freund. Als sie um die Ecke der Nelkenstraße bogen und Bert erblickten riefen beide wie aus einem Mund: „Das ist unser Schneemann! Das ist Bert!“ „Wer ist Bert?“, wollte Gerd nun wissen. „Na Bert, unser Schneemann! Den haben wir gebaut!“, rief ganz aufgeregt Gela. „Da schau auf, dem Schal ist mein Namenszeichen“, setzte Angie hinzu. „Aber wie ist er nur hierhergekommen?“, wunderten sich die Kinder. Nun wurde überlegt wie man den Schneemann wieder zu ihren Besitzerinnen zurückbringen könnte. Die Mädchen liefen nach Hause, um es ihren Eltern zu erzählen. Diese versprachen den Schneemann am kommenden Wochenende zurückzuholen. Bis dahin sollte er bei Gerd in der Nelkenstraße bleiben. Doch wie staunten alle, als sie am nächsten Morgen den Schneemann wieder vor dem Haus der Mädchen vorfanden. Er stand, als sei nichts geschehen auf seinem alten Platz. Verstehen konnte es keiner, die Schwestern freuten sich aber sehr, dass ihr Schneemann wieder da war. (c) Christina Telker