12. 09. 2023

Der Wanderer in der Sägmühle

 

Dort unten in der Mühle

Saß ich in süßer Ruh'

Und sah dem Räderspiele

Und sah den Wassern zu.

 

Sah zu der blanken Säge,

Es war mir wie ein Traum,

Die bahnte lange Wege

In einen Tannenbaum.

 

 Die Tanne war wie lebend,

 In Trauermelodie

Durch alle Fasern bebend

Sang diese Worte sie:

 

 Du kehrst zur rechten Stunde,

O Wanderer, hier ein,

Du bist's, für den die Wunde

Mir dringt ins Herz hinein!

 

 Du bist's, für den wird werden,

Wenn kurz gewandert du,

Dies Holz im Schoß der Erden

Ein Schrein zur langen Ruh'.

 

 Vier Bretter sah ich fallen,

Mir ward's ums Herze schwer,

 Ein Wörtlein wollt' ich lallen,

 Da ging das Rad nicht mehr.

 Justinus Kerner (1786 - 1862),

deutscher Arzt und Dichter

 

 

Natur

 

Und ist ein bloßer Durchgang, denn mein Leben

 Durch deinen Tempel, herrliche Natur,

So ward mir doch ein schöner Trieb gegeben,

Vom Höchsten zu erforschen jede Spur,

So tränkt mich doch, bin ich auch selbst vergänglich,

Ein Quell, der ewig ist und überschwänglich!

Friedrich Hebbel (1813 - 1863)

Neu

Gärtnerinnen

 

 Euren Beifall zu gewinnen,

 Schmückten wir uns diese Nacht,

Junge Florentinerinnen

 Folgten deutschen Hofes Pracht;

 

 Tragen wir in braunen Locken

 Mancher heitern Blume Zier;

Seidenfäden, Seidenflocken

 Spielen ihre Rolle hier.

 

 Denn wir halten es verdienstlich,

Lobenswürdig ganz und gar,

 Unsere Blumen, glänzend künstlich,

 Blühen fort das ganze Jahr.

 

 Allerlei gefärbten Schnitzeln

Ward symmetrisch Recht getan;

 Mögt ihr Stück für Stück bewitzeln,

Doch das Ganze zieht euch an.

 

 Niedlich sind wir anzuschauen,

Gärtnerinnen und galant;

 Denn das Naturell der Frauen

 Ist so nah mit Kunst verwandt.

(Johann Wolfgang von Goethe)

 

gart

 

Wellenschäume,

Wolkensäume,

Wünsche, Träume,

 Im Entfalten,

Im Zerfließen festgehalten;

Manch Erlebtes

 Längst Entschwebtes,

 Mit Gestalten

Leicht Verwebtes,

 Wie sie kommen,

wie sie fliehn –

 Launekinder, Phantasien,

Bilder im Vorüberziehn,

Liebespoesien!

Ludwig Eichrodt (1827 - 1892)

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Zwei Heimgekehrte

 

Zwei Wanderer zogen hinaus zum Tor

 Zur herrlichen Alpenwelt empor;

Der eine ging, weil's Mode just,

Den andern trieb der Drang in der Brust.

 

Und als daheim nun wieder die zwei,

 Da rückte die ganze Sippe herbei,

 Da wirbelt's von Fragen ohne Zahl:

"Was habt ihr gesehen? Erzählt einmal!"

 

 Der eine drauf mit Gähnen spricht:

 "Was wir gesehen? Viel war es nicht!

Ach, Bäume, Wiesen, Bach und Hain,

Und blauen Himmel und Sonnenschein!"

 

Der andere lächelnd dasselbe spricht,

Doch leuchtenden Blicks,

mit verklärtem Gesicht:

 "Ei, Bäume, Wiesen, Bach und Hain,

 Und blauen Himmel und Sonnenschein!".

Anastasius Grün (1806 - 1876)

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Was kleidet die Wiesen,

 was schmücket die Wälder,

 Was sprenget die Fesseln

 dem keuchenden Bach?

Was führet die Thiere

zurück in die Felder

Und wehet den Klang

 aller Lieder wach?

Es ist der Frühling,

 es ist die Sonne,

 Drum freue sich laut ein jegliches Herz,

Und in der großen unsterblichen Wonne

Verstumme der eitle, der menschliche Schmerz!

Ludwig Eichrodt (1827 - 1892)

Der Teich

 

Der stille Teich von dunklem Schilf umflüstert

und alten überwachsnen Stämmen die seltsam rauschen

erglüht im sinkenden Abend. Leise flirrt

sein tiefer brauner Kelch im Nachtwind und umspült

der schlanken Gondel goldgezierten Bug

 die schwer mit Tang und trüber Flut gefüllt

auf weichen Ufermoosen schaukelt wo

der schmale Kiesweg grün umwuchert

 in fernes Dunkel taucht. Verschlafen gleiten

 im Wellenrieseln weiße Wasserrosen

an dünnen schwanken Stengeln hin und strahlen

 in blassem Feuer groß aus braunen Schatten die

 von breiten Buchenkronen sinken und

 der satte Abendhimmel überströmt

von Purpurwolken flimmert durchs Gewirr

der Äste schwer und brennend wie ein Schacht

mit funkelnden Juwelen übersät.

Ernst Stadler (1883 – 1914)

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