pfingsten1-1

Pfingsten

 

Schöne Zeit von Himmelfahrt

 Bis zum nahen Pfingsten,

Wo der Geist sich offenbart

 Groß auch im Geringsten.

 

Glockenklang erschallt vom Dom,

Und zur Lust des Maien

Wallt hinaus der Menschenstrom,

 Alles will sich freuen!

 

 Freue sich, wer Gutes tat,

 Wer dafür gestritten,

Wer gestreut der Zukunft Saat,

 Und auch wer gelitten!

 

Ja, ich weiß, es wird geschehn,

 Was wir jetzt noch hoffen,

 Daß zum Glück die Tore stehn

 Allen einst noch offen.

 

 Dass man nicht mehr sieht verirrt

Scharen Lebensmüder;

Keine Herde und kein Hirt,

Freie nur, nur Brüder!

 

Wenn kein Druck den Geist mehr dämpft,

 Wenn ein zweites Eden,

 Aber schöner, weil erkämpft,

Folgt auf unsre Fehden.

 

Eines Himmels Erdenfahrt

 Und ein andres Pfingsten,

Wo der Geist sich offenbart,

Groß auch im Geringsten.

Hermann Lingg (1820 - 1905)

Zu Pfingsten sang die Nachtigall,

Nachdem sie Tau getrunken;

 Die Rose hob beim hellen Schall

Das Haupt, das ihr gesunken.

 

 O kommt, ihr alle, trinkt und speis't,

Ihr Frühlingsfestgenossen,

Weil über's ird'sche Mal der Geist

 Des Herrn ist ausgegossen.

 Friedrich Rückert (1788 - 1866)

Garten der Poesie 0