Rau wehte der letzte Winterwind und wollte sich noch gar nicht so recht verabschieden. „Hui“, blies er um die Ecken und rüttelte die Bäume, dass es eine Freude für ihn war. „Deine Zeit ist abgelaufen“, rief der Frühling und sandte seine ersten warmen Strahlen in die Natur. „Oh, ist das hell“, dachte ein kleines Birkenblatt, das sich gerade in diesem Moment aus seiner festen Knospenhülle befreite. Die Sonne freute sich über das erste Blättchen und lächelte nochmal so fröhlich vom Himmel. „Guten Morgen, Frau Sonne! Oh, ist die Welt schön“, jubelte das kleine Birkenblatt. „Guten Morgen, kleines Blättlein! Ich begrüße dich im Frühling!“ Das Blättchen reckte und streckte sich, so gut es konnte, der Sonne entgegen. „Wer ist denn da so vorwitzig und kann die Zeit nicht abwarten“, tönte die Stimme des Nordwindes, der plötzlich eisigen Schneesturm auf das Blatt rieseln ließ. „Huh, ich friere so“, jammerte jetzt das kleine Blatt. Es schmiegte sich, so gut es konnte an den Birkenzweig, um vom Sturm nicht abgerissen zu werden.
Nach und nach siegte der Frühling über den Winter, die Luft wurde milder und auch die anderen Birkenblätter kamen aus der Knospenschale. Schon bald stand Frau Birke in herrlich hellgrünem Festkleid am Waldesrand. Der Sommerwind spielte mit den Blättern. Ab und zu erzählte er ihnen auch eine Geschichte, die er auf seiner Reise über das Land erlebt hatte. Die Birkenblätter freuten sich immer über den Besuch des Sommerwindes, weil er immer zum Tanz einlud und das mögen Blätter sehr. Eines Tages, es war schon recht kühl geworden, meinte unser kleines Blatt zu seinen Geschwistern. „Schaut mich an, heute habe ich mir ein gelbes Kleid zugelegt. Grün trug ich lange genug. Wer von euch ist so schön wie ich“, stolz drehte es sich nach allen Seiten. „Auf diese Farbe sei nicht so stolz“, meinte Frau Birke, „nun kommt bald der Tag, an dem ich euch, meine Kinder, loslassen muss. Der Wind wird euch mit in die Welt nehmen. Bald kommt der Winter und ihr werdet lange schlafen. Ihr habt dann auch eine Aufgabe zu erfüllen. Viele Pflanzen und Tiere frieren im Winter, sie möchten von euch zugedeckt und gewärmt werden. Das lustige Leben des Sommers geht zu Ende, nun kommt der Ernst des Lebens“, endete die Birke ihre Erzählung. Jetzt wurde den kleinen Blättchen doch etwas seltsam zumute. Schon wenige Tage später lösten sich die ersten Blätter von der Birke und begaben sich auf eine lange Reise. Schon nach kurzer Zeit stand die alte Birke traurig, müde und kahl da. Sie träumte vom nächsten Frühling und vom Vogelsang in ihren Zweigen. Die kleinen, gelben Birkenblätter wurden vom Herbstwind wild herumgewirbelt. Eins wurde auf den Teich getragen und ans Ufer gespült, wo es liegen blieb. Einige blieben am Fuße des Stammes liegen und wärmten seine Wurzeln. Hierüber freute sich die alte Birke besonders. Unser kleines Blättlein ließ sich lange vom Herbstwind tragen. „Oh wie ist das schön, so frei und lustig zu fliegen“, dachte es bei sich, „das ist ja noch viel schöner als mit dem Sommerwind am Baum zu tanzen.“ Als der Abend kam, ließ sich das Blatt still zur Erde nieder und schlief ein.
„Au, au, wer sticht denn so boshaft“, rief das kleine Blatt und wachte auf aus seinen Träumen. „Hey, was ist das, wo bin ich? Was sticht mich da in meinen Bauch?“ Das Blättlein wollte sich befreien, aber es ging nicht. Schon wurde es von anderen geschoben und gedrückt. Dann hörte plötzlich das Stechen auf, matt sank das Blättchen zur Erde. „Nun habe ich ein warmes Lager, jetzt kann der Winter kommen“, hörte das Blättlein eine Stimme. Weich legte es sich mit den anderen Blättern um den Igel und deckte ihn warm zu. Leise fiel der Schnee und legte eine weiße Decke über die schlafende Natur.© Christina Telker