Neujahrsmorgen


Ganz vereinzelt hört man aus der Ferne ein letztes Grollen eines einsamen Böllers. Die laute Welt hat sich zur Ruhe begeben, das neue Jahr seine Tore geöffnet. Auf diesen Moment hat Jana gewartet. Sie mag nicht den Trubel dieser Nacht. Sie freut sich auf den jungen, frischen Morgen, der sie noch so unberührt begrüßt. Viele Wünsche sind in dieser Nacht in den Himmel gestiegen. Auch Jana geht erwartungsvoll in dieses neue Jahr. Viele Jahre ist sie nun schon alleine, nachdem ihr Werner sie viel zu früh alleine ließ. Immer noch redet sie mit ihm über alles, was sie bewegt. Nur gut, dass diese Verbindung nie abgerissen ist. Jana setzt sich auf eine Bank im Stadtpark. Hier ist es so schön still um sie her. Sie denkt an Werner und schließt für einen kurzen Moment die Augen. Sie merkt nicht, wie sie plötzlich einschläft. Erst als sie erwacht und in ein helles Licht schaut, merkte sie, dass sich irgendetwas verändert hat. ‚Ob das ein Engel ist?‘, denkt sie gerade noch und hört wie aus weiter Ferne: „Wie schön, dass sie wieder zu sich kommen." Behutsam öffnet Jana die Augen und sieht einen fremden Mann vor sich, der sagt: „Ich schaue morgen noch einmal vorbei." Jetzt tritt ein Arzt an ihre Liege und erklärt ihr: „Sie waren auf einer Parkbank eingeschlafen. Hätte Herr Schmidt sie nicht gefunden, wäre sie erfroren." Langsam beginnt Jana zu begreifen, was geschehen ist. ‚Vielleicht wäre es gar nicht so schlecht gewesen‘, denkt sie bei sich. ‚Dann hätte die Einsamkeit ein Ende und ich wäre bei Werner.‘

Am nächsten Tag bekommt sie Besuch von ihrem Lebensretter. Nach wenigen Worten begreifen beide, wie gut sie sich verstehen. Als der Frühling Einzug hält, unternehmen sie manchen Spaziergang gemeinsam. Sie spüren, wie gleich ihre Gesinnungen in vielem sind. So verbringen beide den nächsten Jahreswechsel zu zweit. Jana berichtet ihrem Werner jeden Abend von ihrem Tag

Und dessen Geschehnissen auch, wenn sie wieder in der realen Welt angekommen war. Sie kann wieder lachen und sich auf den nächsten Tag freuen. Herrn Schmidt geht es ebenso. Auch wenn beiden ihr kleines eigenes Heim behalten möchten, so wissen sie doch, sie haben einen Freund gefunden und sind nicht mehr ganz alleine. Es gibt jemand, mit dem sie reden können.

 

Ein Engel der dich umarmt


Nun lag Clara schon einige Wochen im Krankenhaus. Wer hätte das gedacht, wie ein paar Minuten der Unaufmerksamkeit ein Leben verändern können? Heute war Silvesterabend, ein Abend, den sie bisher immer mit ihren Freunden verbrachte. Jetzt lag sie sinnlos hier herum, während die anderen feierten. Sie wollte nichts sehen von dem Trubel dort draußen, so hatte sie die Schwester gebeten die Vorhänge zuzuziehen. „Dann doch besser schlafen, so konnte sie auch ins neue Jahr kommen“, dachte Clara bei sich und setzte sich ihre Kopfhörer auf. Sie legte ihre Lieblingsmusik ein, um so besser zur Ruhe zu kommen. Recht bald war sie eingeschlafen und was sie dort erlebte, gab ihr Kraft für die kommende Zeit.

Im Traum befand sie sich auf einer sonnigen Wiese. Blumen blühten in den schönsten Farben. Doch dieser Garten, in dem sie sich befand, glich einem Labyrinth. Trotz der vielen Wege fühlte sie sich hier sehr wohl. Immer wenn sie an eine Weggabelung kam, trat ein Engel auf sie zu und führte sie. Diese Engel sprachen mit tröstenden Worten zu ihr. Sie sagten: „Fürchte dich nicht!" oder „Gott ist an deiner Seite!" oder „Du bist nicht allein.“ All diese Worte wirkten beruhigend auf die junge Frau, so, dass sie fast etwas traurig war, als sie am Morgen erwachte und dieser wunderschöne Traum vorüber war. Erst als sie richtig zu sich kam, merkte sie, dass sie sich bereits im Neuen Jahr befand.  Als die Schwester ins Zimmer trat und erwartete eine zerknirschte junge Frau vorzufinden, staunte sie über Claras Fröhlichkeit. Sie wünschten sich beiden ein „Gesegnetes neues Jahr“, dann bat Clara, die Vorhänge aufzuziehen und das Fenster zu öffnen. Sie freute sich an der schönen klaren Winterluft und meinte: „Ist das heute nicht ein schöner Tag!“ Schwester Inge konnte diese Wandlung gar nicht fassen. Noch gestern, hatte die junge Frau nur geklagt, jetzt strahlte sie eine Fröhlichkeit aus, die ansteckend war. Ähnlich ging es ihren Freundinnen, die ihr am Nachmittag einen Neujahrsbesuch abstatteten. Als alle gegangen waren, blieb ihre beste Freundin noch ein wenig bei ihr, um sich diese Wandlung erklären zu lassen. „Sag mal, hast du dich verliebt?“, fragte sie und wollte damit einen Scherz machen. „Vielleicht!“, gab Clara schmunzelnd zurück. Dann erzählte sie ihrer besten Freundin von dem Traum der letzten Nacht. Still saß diese da und hörte zu. „Das war wirklich ein besonderer Traum“, meinte sie dann. „Hast du schon einmal darüber nachgedacht, dass dir Gott mit diesem Traum etwas sagen wollte?“ „Ja, ich habe es verstanden. Ich bin nicht allein. Unser himmlischer Vater ist immer an unserer Seite, ganz gleich, wo wir uns befinden.“ „Manchmal braucht man etwas länger, um dies zu begreifen“, sagte darauf ihre Freundin. „Meinen Worten konntest du nicht glauben. Ein Traum hat dich überzeugt. Gott findet immer Wege, wenn er uns etwas sagen möchte.“

Beide Freundinnen umarmten sich vor dem Abschied. Nun ging es mit Clara jeden Tag ein wenig voran. Schneller als gedacht, konnte sie die Klinik verlassen. Gemeinsam mit ihrer Freundin ging sie künftig zum Jugendkreis ihrer Gemeinde. © Christina Telker

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