An einem lauen Herbstabend saß, der kleine Fritz am Ufer des Baches und beobachtete die Enten, wie sie lustig hin und her schwammen, nach etwas Entengrütze Ausschau haltend. Ab und zu nahm er einen Kiesel auf und ließ ihn auf dem Bach entlang hüpfen. Fritzchen schaute lange auf den einen Stein in seiner Hand und träumte vor sich hin, als der Stein plötzlich zu sprechen begann: „Hallo kleiner Fritz, du hältst mich hier in der Hand, mit dem Vorhaben, mich ins Wasser zu werfen. Hast du schon einmal über mich nachgedacht? Kannst du dir vorstellen, was ich schon alles gesehen habe? Ich könnte dir viele Geschichten erzählen.“ Verträumt sah der Junge den Stein in seiner Hand an: “Sag einmal, kleiner Stein, wie alt bist du eigentlich, dass du so viele Geschichten kennst?“ „Ich bin viele Millionen Jahre alt“, antwortete der Stein, noch bevor Fritz aus seinem Tagtraum erwachte. Er warf noch einen nachdenklichen Blick auf den Stein, dann warf er ihn gekonnt ins Wasser.
Mit den Zweigen der alten Weide spielte der Herbstwind und zog den Blick des Jungen auf den Baum. Als Fritz den Baum, noch seinem Traum von Stein nachsinnend, ansah, überlegte er so für sich, wie alt wohl diese Weide dort wäre. Die Weide fühlte sich von den Blicken des Jungen geschmeichelt und antworte ihm, ohne dass er seine Frage stellen konnte: „Du überlegst, wie alt ich bin“, sprach die alte Weide ihn an. „Ich habe dein Gespräch mit dem Stein belauscht. Auch ich könnte dir so einige Geschichten erzählen, auch wenn ich bei weitem nicht so alt wie dieser Stein bin.“ Interessiert sah der Junge zur Weide auf. „Wie alt bist du denn“, wollte er jetzt wissen. „Ich bin weit über hundert Jahre. Als der Wind meinen Samen hier hertrug, gab es hier nur Wiesen und den Bach. Die Häuser, die du im Umkreis siehst, waren alle noch nicht gebaut.“
Dem Jungen schwirrte der Kopf, er schaute sich um und versuchte sich vorzustellen, wie es hier aussehen würde, wenn alle Häuser, auch das in dem er wohnte nicht, da wären. Dann schaute er auf seine Finger und begann zu zählen: „Eins, zwei, drei, vier, fünf.“ Fünf Jahre war er in diesem Sommer geworden, überlegte er. Würde es hier einen geben, der jünger war als er? Der Stein war uralt, die Weide war sehr alt, er selbst erst fünf Jahre.
In seine Gedanken hinein sprach ein Eichenblatt, dass der Bach gerade vorübertrieb. „Ich bin jünger, als du! Ich bin erst ein paar Monate alt und doch ist mein Leben schon vorüber.“ Schon war das Blatt weiter getrieben und nicht mehr zu sehen. ‚Was ist Zeit‘, überlegt der Junge. Aber diese Frage konnte er sich nicht beantworten. Sie war zu schwer für ihn.
© Christina Telker